Die Schattenseite des Beerenpflückens (Teil 2)

Die Schattenseite des Beerenpflückens

 

Im ersten Teil zum Thema Beeren in Schweden, habe ich euch von unterschiedlichen Sorten berichtet. In diesem Teil geht es um das Pflücken. Der Bedarf an frisch gepflückten Beeren ist groß in Schweden. Groß- und Unterhändler kaufen kiloweise was ihnen gebracht wird. Wer es ihnen bringt, ist dabei egal. Und der Preis meistens gering. Kaum ein Schwede sieht das Beerenpflücken als lukrative Einnahmequelle. Aber wer pflückt denn dann die ganzen Beeren?

Schweden und die Beeren

Früher war in Schweden der Selbsthaushalt und die Vorratshaltung ein wichtiger Teil des Lebens. Auch bedingt durch die langen, harten Winter. Heute ist es für viele einfacher, im Supermarkt zu kaufen, was sie brauchen. Dennoch ziehen im Spätsommer und Herbst noch viele Menschen mit Körben und Eimern bewaffnet los, um Beeren oder Pilze zu pflücken. Himbeeren, Blaubeeren, Preiselbeeren, Moltebeeren, Moosbeeren: Jeder darf, dank des in Schweden geltenden Jedermannsrechts, pflücken, wenn dabei der Natur nicht geschadet wird.

Wir und die Beeren

Wir haben viele Stunden an vielen Tagen mit Beerenpflücken verbracht. Mir macht das großen Spaß, denn ich kann draußen in der Natur sein, die Gegend erkunden, bekomme im besten Fall einiges an Sonne ab und schiebe mir ab und an die leckeren kleinen Dinger in den Mund. Zu Hause werden daraus dann Marmeladen, Soßen und Säfte. Was nicht verarbeitet wird, wird eingefroren und bildet die Vitamingrundlage für den Winter. Es ist toll, etwas zu essen oder zu trinken, was man nicht nur selbst eingesammelt, sondern auch hergestellt hat.

Aber was für uns ein bisschen Selbstversorgung und Spaß ist, wird für andere zum existentiellen Albtraum.

Asien, Osteuropa und die Beeren

Wenn es nicht nur darum geht, ein paar Beeren für den Eigenbedarf zu pflücken, ist das Beerenpflücken harte Arbeit. Arbeit die schlecht bezahlt ist, weswegen es für die meisten Schweden keinen Sinn macht, sich damit Geld hinzuzuverdienen. Einheimische Arbeitskräfte gibt es nicht. Aber irgendjemand muss die Beeren pflücken, denn Bedarf besteht ohne Frage.

Hunderttausende Tonnen Beeren werden von kommerziellen Firmen jährlich aufgekauft. Davon bleiben weniger als 20% in Schweden. Der Großteil geht nach Asien. Und von dort kommen auch die meisten Pflücker. Große Unternehmen heuern selbst, oder in Zusammenarbeit mit Zeit- oder Leiharbeitsfirmen, billige Arbeitskräfte an.

Was in Deutschland lange Zeit die polnischen Spargelstecher waren, sind in Schweden oft die thailändischen oder chinesischen Beerenpflücker. Die schwedischen Beeren werden von unzähligen Wanderarbeitern geerntet. Sie werden in ihrer Heimat von Werbern rekrutiert und eine Zeitarbeitsfirma vermittelt die „Jobs“, mit dem Versprechen eines angenehmen Arbeitsklimas und eines angemessenen Lohns. Eingehalten wird dieses lukrative Versprechen selten.

Über zwei bis drei Monate hinweg, sammeln die Pflücker täglich 10 bis 12 Stunden Beeren im Wald. Und wer schon einmal Beeren gepflückt hat, weiß wie anstrengend das gebückte, auf dem Boden Umhergesuche ist. Wenn es im Akkord getan wird, wird es zu einem auslaugenden Knochenjob.

Die Arbeiter zahlen einige Euro für die Unterkunft (die nicht selten aus einem Zelt besteht), einige Euro fürs Essen, einige Euro für ein Leihauto und das Material, dass sie zum Pflücken brauchen. Sanitäre Anlage sind nicht überall vorhanden. Für einen Lohn von 50 Euro, müssten bis zu 70 Kilo Beeren gepflückt werden. Übrig bleibt dabei kaum etwas. Oder gar nichts.

Die Bedingungen der Wanderarbeiter sind häufig so schlecht, dass es zu Protesten (in vergangenen Jahren zum Beispiel in Umeå und Luleå) kommt.

Das hatten sie sich anders vorgestellt.

Viele von ihnen haben sich verschuldet um ins Land zu kommen, mit dem Gedanken, dass sie bei Rückkehr alles zurückzahlen könnten. Diese Rechnung geht für die wenigsten auf. Und schließlich ist auch nicht jedes Jahr ein „Beerenjahr“. Mal sind es mehr, mal sind es weniger. Häufig können die geforderten Mengen nicht eingebracht werden und so haben die Eingereisten teils nicht mal genug Geld für Heimreise.

Die Frage der Zuständigkeit ist schwierig. Oft „verschwinden“ die Drahtzieher. Die Beerenfirmen schieben die Verantwortung auf die Leiharbeitsfirmen, und vice versa. Die Migrationsbehörde führt Regeln ein, die aber nicht selten umgangen werden. Die Polizei schaltet sich oft erst ein, wenn es zu „wirklichen“ Misshandlungen, dem Zwang zur Kriminalität oder Prostitution der Pflücker kommt.

Wer verdient an der schwedischen Beerenernte?

Für einige Beeren, zum Beispiel Åkerbär und Hjortron, gibt es gute Kilopreise. Natürlich sind dies die seltenen, schwer zu findenden, die zudem im Moor wachsen und sich schlecht pflücken lassen. Die Moltebeere zum Beispiel, wird in Delikatessengeschäften und die Åkerbär in Likörform zu horrenden Preisen verkauft. Der Preis der dem Pflücker, nach Abzugs des Anteils der Unterhändler, übrig bleibt ist klein. Bei Blau- und Preiselbeeren oft unter einem Euro. Nur die Zeitarbeitsfirmen und Grossisten, verdienen am Beerengeschäft. Sie verkaufen an die Kosmetikindustrie, Marmeladen- und Likörhersteller mit sattem Gewinn.

Eine Wende?

Einige wenige Firmen fangen an, Pflücker für die Saison fest anzustellen. Dadurch sind sie einigermaßen abgesichert. Aber der Markt der „freien Pflücker“ ist nicht zu kontrollieren. Das organisierte Lohndumping geht weiter.
 
Die Proteste haben anstatt zu einer Veränderung der Bedingungen hauptsächlich zu Veränderungen der Herkunft der Saisonarbeiter geführt: Seitdem ein Mindestlohn für asiatische Pflücker eingeführt und sie somit zu teuer wurden, kommen Beerenpflücker vermehrt aus Osteuropa.



Text: Rike Jütte

Fotos: Arne Gerken und Rike Jütte



Danke fürs Lesen!

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